Arbeiten über AufBruch




Alisas Magisterarbeit zum Thema RAF und Rockmusik

AufBruch: „Für Ulrike“

Fragebogen

Fragen zum Entstehungskontext

1.      Aus welcher Situation heraus ist der Songtext entstanden?

Es gab da keine spezielle Situation. Eine Urfassung ist bereits in den späten 80-ern entstanden. In der DDR war das aber eigentlich kein Thema. Erst mit der Wende habe ich den Song dann überarbeitet und wir haben ihn nach unserer Neugründung 1995 ins Programm aufgenommen. Ein Hintergrund war, dass es bei Teilen unseres Publikums erhebliche Sympathien für Gewalt auch gegen Personen zu geben schien. Deshalb sollte der gescheiterte Lebensweg von Ulrike Meinhoff dargestellt werden, der in Idealen begann und in der persönlichen Zerstörung erfolglos endete. Im Text offen ist übrigens die Todesursache („Man fand sie tot in ihrem Knast“).Auch die Zeilen davor lassen offen, WER konkret sie versucht hat zu brechen... Die Antipathien im West-Publikum gegenüber diesem System waren für uns in der Drastigkeit auch überraschend. Das ging soweit, dass bei unserem ersten Konzert im Juzi in GÖ wir als quasi „Honeckers Gesandte“ angekündigt wurden – sozusagen als Verbündete im Kampf gegen die BRD. Dabei waren wir froh, Honecker los zu werden, der Langhaarige und Punks in der DDR massiv verfolgen ließ. Wir hatten etwas mehr Anarchismus in der Szene erwartet und wurden konfrontiert mit einer SED-Freundlichkeit, die uns überraschte. Das geht bis heute noch so: Die PDS scheint für viele eine Alternative zu sein. Wer diese Partei und ihre Vertreter hier im Osten kennt, weiß, dass nach wie vor der Grenzoberst und der Stasi-Spitzel Mitglied sind... Leute, die in ihren ansichten gegenüber der Subkultur stockkonservativ sind – also alles andere als „links“...

2.      Wie seid ihr auf das Thema RAF gekommen?

Das ist nicht vordergründig RAF sondern eher die Person der Zeitgeschichte Ulrike Meinhoff. Das Thema RAF haben wir in dem Text nicht abgehandelt.

3.      Würdet ihr heute noch einmal dasselbe Lied machen?

Ja, warum nicht? Ein Song, der in den 80-ern entstand und noch heute aktuell ist, kann so falsch nicht sein.

Renaissance RAF

4.      Ihr seid nicht die einzige Band, die sich musikalisch mit der Roten Armee Fraktion auseinandergesetzt hat. Besonders seit ihrer Auflösung im Jahr 1998 werden immer wieder neue Songs zu dem Thema veröffentlicht. Glaubt ihr, es gibt eine Renaissance der Roten Armee Fraktion durch die Musik der linken Punkrock- und HipHop-Szene – und wenn ja, warum?

Nein, weil es den Background, aus dem die RAF entstanden ist, nicht gibt. Kein Muff unter den Talaren, keine Nazis auf herausgehobenen Staatsposten, keine Studentenbewegung, kein Anreiz, ein „sozialistisches“ System zu errichten, keine „Genossen“ hinter der Mauer im Osten, keine Befreiungsbewegungen in der dritten Welt, die mittlerweile sogar ihre moralische Legitimation verloren haben (Robert Mugabe).

5.      Wie habt ihr selbst die aktive Zeit der RAF erlebt?

Als ostdeutsches Kind in den Nachrichten der Tagesschau – zumindest die Aktionen der 1. und 2. Generation der RAF. Die Aktionen der dritten Generation sind ja bis heute nicht schlüssig der RAF zuzuschreiben (Rohwedder usw.)

6.      Wie steht ihr zu den Zielen der RAF, die ja zum größten Teil ihren Ursprung in der 68er-Bewegung hatten?

Zunächst gab es ja durchaus bedenkenswerte Ziele (aufmerksam machen auf den Vietnam-Krieg), die jedoch immer weiter vom Terror als Weg überlagert worden und zum Schluss gänzlich unsichtbar waren. Terror ist kein Mittel um irgendein Ziel zu erreichen. Wer ein neues System herbeiterrorisieren will, verliert damit schon seine Legitimität. Das sage ich auch als Akteur der Wende in meiner Heimatstadt. Möglicherweise gibt es Konstellationen, in denen ein bewaffneter Aufstand die einzige Möglichkeit bleibt – deshalb bin ich auch kein Pazifist. In Kuba 1959, in Nikaragua, gegen die Apartheit in Südafrika... In diesen Fällen war jedoch die Grundlage für den aufstand das massive unvergleichbare (jedenfalls mit Europa) Elend in Verbindung mit jeglichem Fehlen einer nachvollziehbaren Rechtsordnung und dem bereits bestehenden Terror einer nicht vom Volk getragenen Elite. Im Übrigen war das Ziel der RAF trotz aller Verlautbarungen immer etwas nebulös. Unter einem „besseren, gerechteren System“ kann man sich alles oder nichts vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unter dem Bundeskanzler oder Staatschef oder Generalsekretär Andreas Baader ein System entstanden wäre, in dem Gerechtigkeit und Freiheit regieren würden. Von Diktaturen (ob des „Proletariats“ oder des Militärs) haben die wenigsten etwas Gutes zu erwarten. Das Konzept der Stadtguerilla zum Erreichen welchen Ziels auch immer ist gescheitert.

7.      Politische Diskussionen und linke Demonstrationen werden oft nicht gehört und von den Politikern ignoriert. Meint ihr, manchmal könnte Gewalt notwendig sein, um gegen Ungerechtigkeit vorzugehen?

Ich glaube nicht, dass das so ist. Vielleicht werden die „Anregungen“ nicht sofort aufgenommen und umgesetzt. Aber ich denke, alles, was man tut oder lässt hat Konsequenzen. Auch auf und für andere. Rio sang: „Du bist doch kein Loch in der Natur“. Und wenn ich den Staat heute mit dem Staat von 1965 vergleiche, gibt es da schon Einiges, was anders geworden ist, sei es im Strafrecht, im Frauenrecht, Bundeswehr, Umweltschutz, Demonstrationsrecht, .......... Gewalt, die keine Notwehr ist, produziert Schlagzeilen und eine Gegenreaktion, die das eigentliche Anliegen zurückwirft. Auch wenn es manchmal sicher menschlich ist, zu sagen: „Einen Pflasterstein hätte ich jetzt gern“ ersetzt dieses Gefühl kein politisches Konzept.

Botschaft

8.      Welche Botschaft soll der Song aus eurer Sicht vermitteln?

Dass man mit Gewalt nicht weiterkommt. Und dass das Scheitern durchaus von Situationen und Personen unterstützt wird, von denen man es nicht erwartet (siehe Statements von Ulrike Meinhoff zu Baader & Ensslin).

9.      Es wird immer wieder vorgeworfen, dass das Kapitel RAF bis heute nicht abgeschlossen ist. Glaubt ihr, euer Song kann einen Beitrag dazu liefern, politisch und medial fehlende Auseinandersetzung zu betreiben?

Unbedingt, weil in dem Song nicht holzschnittartig die RAF glorifiziert oder verdammt wird. Wie so oft gibt es Schattierungen, Hintergründe und Befindlichkeiten, die bei plakativen Äußerungen, die selten erhellend wirken, unbeachtet bleiben.

10.  Kritiker werfen euch vor, die RAF in eurem Songtext zu verklären. Wie steht ihr selbst dazu?

Naja, Kritiker... Die „Rheinpfalz“ schrieb, der Song sei „problematisch“, weil er nicht  einmal vor der sattsam widerlegten Stammheim-Legende zurückschreckt“. Wie oben erwähnt: Der Kritiker hast sich das Hemd angezogen, dass wir in dem Lied eine Stammheim-Legende propagieren. Viel eher werden wir als „Ostband“ kritisiert, über ein „Westphänomen“ zu singen. Da haben wir aber gar kein Problem, weil uns „der Westen“ ja auch unsere „Ost-Geschichte“ „erklärt“....

Provokation

11.  Einige Bands nutzen das Thema RAF, um zu provozieren und aufzufallen bzw. sich aus der Masse abzuheben. Wie steht ihr dazu?

Tja, das trifft uns nicht, dazu ist unsere Themenvielfalt wohl doch zu groß. Und um aufzufallen hätte der Text eben bedeutend plakativer sein müssen. So fällt er nur denen auf, die sich Gedanken um den Inhalt machen...

Zensur

12.  Bei dem Thema RAF sind die Vertreter des Staates bis heute sehr kritisch. Ist der Songtext die erste Version oder musstet ihr ihn vorab entschärfen?

Keine Zensur, keine entschärfung.

13.  Ist es heutzutage durch Zensur etc. schwierig, seine Meinung in Songproduktionen noch frei zu äußern?

Ich kenne die Zensur aus DDR-Zeiten, ich durfte zunächst nicht als Liedermacher auftreten, die Band wurde noch 1989 verboten. Das ist Zensur, weil sie auch umgesetzt wurde. Was heute als Zensur bezeichnet wird ist doch eher werbewirksam und hat für den Künstler kaum Konsequenzen.

14.  Kann Musik aus eurer Sicht Widerstand mobilisieren?

Musik kann alles – sie kann zur Liebe und zum Hass aufrufen, zum Nachdenken und zum hirnlosen Mitlaufen. Mobilisieren im eigentlichen Sinne – das weiß ich nicht, da dazu etliche Komponenten mehr gehören (Hintergründe, Probleme, usw.)

15.  Früher stand der Begriff Punk für eine Do-It-Yourself-Mentalität, was das eigene Marketing anging. Ist die heutige Kommerzialisierung von Punk eine Meinungsbremse? (Diese Frage kann von HipHop- und Rockgruppen ignoriert werden.)

Wir sind keine Punk-Band, wir sind aber mit unserer Plattenfirma (einer Punk-Firma) sehr zufrieden, was Marketing angeht. Uns wird keine Meinung vorgeschrieben, also auch nicht gebremst.

Zielgruppe

16.  Ihr seid Idole für viele Jugendliche, die heute teilweise nur vage über den Kampf zwischen Staat und RAF informiert sind. Glaubt ihr, eure Zielgruppe versteht eure Botschaft?

Idole????? Naja, das ist wohl zu hoch gegriffen. Wer unsere CDs kauft und in die Konzerte kommt weiß, dass er das Gehirn nicht an der Kasse lassen darf. Wir „verlangen“ in diesem Sinne auch ein weiterdenken, zu dem wir aber den anstoß geben wollen und können.